Das heutige Niederösterreich südlich der Donau war während der Römerzeit – in unserem Untersuchungszeitraum von etwa dem 1. bis zum 5. Jahrhundert n. Chr. – Teil des Imperium Romanum. Drei der heutigen fünf Hauptregionen, nämlich das Mostviertel, der Zentralraum und das Industrieviertel, gehörten zum römischen Reich. Das Wald- und Weinviertel waren jedoch nicht direkt Teil des Imperiums. Ab der 2. Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. dürfte der Bereich im Hinterland der römischen Donaugrenze eine signifikante römerzeitliche Besiedlung aufgewiesen haben. In der Antike siedelte man im Westen in der Provinz Noricum und im Osten in der Provinz Pannonia superior. Die Begriffe Noricum
und Pannonien
bezeichneten jedoch nicht nur politisch-militärische Verwaltungseinheiten, sondern wahrscheinlich auch generell die jeweiligen Regionen.
Abgesehen vom städtischen Zentrum Aelium Cetium (heute St. Pölten) im niederösterreichischen Teil von Noricum, das damals wie heute von erheblicher administrativer Bedeutung war, befanden sich in Pannonien entlang des niederösterreichischen Donaulimes die Städte Vindobona (Wien) und Carnuntum (Petronell-Carnuntum und Bad Deutsch-Altenburg). In den beiden letztgenannten Städten wurden auch Legionslager in der Nähe entdeckt. Im Gegensatz dazu lag Aelium Cetium, eine reine Zivilstadt
, weiter im Landesinneren. Entlang des Limes gab es auch eine Reihe von Kastellen wie Favianis (Mautern a. d. Donau) und Augustianis (Traismauer). Neben diesen Kastellen entstanden auch zivile Siedlungen und andere Einrichtungen wie Rast- und Wechselstationen (mansiones/mutationes). Mit der Zeit gab es auch immer mehr Wachtürme oder kleine Festungen (burgi).
Zur ländlichen Besiedlung gehörten auch die Straßen, die als regionale und überregionale Verbindungen die ländlichen Siedlungen mit den Militärlagern und Städten vernetzten. Einige waren mit Stein- oder Schotterbelag ausgestattet, andere dienten lediglich als einfache Feldwege
. Römerstraßen sind für das römische Niederösterreich belegt – beispielsweise die mutmaßliche römische Brücke bei Lanzing, die Geleisestraßen bei Mauternbach oder ein Teil der Limesstraße zwischen Traismauer und Zwentendorf. Das Verkehrsnetz war, ähnlich wie die ländliche Besiedlung, vermutlich dicht ausgebaut.
Gemeinlebarn lag sowohl damals als auch heute im direkten Umland von Augustianis (dem „römischen“ Traismauer). Bei dieser antiken Siedlung handelte es sich dabei um ein in der 2. Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. errichtetes römisches Kastell, das als Standort für eine Kavallerieeinheit von etwa 500 Mann diente. Die Soldaten überwachten die Region um die Traisenmündung und entlang des Donauufers zwischen Mautern an der Donau und Tulln. Das Lager hatte eine Fläche von rund 3,8 Hektar – heute ist es vollständig von der mittelalterlichen Bebauung Traismauers überlagert. Einzigartig für den Donaulimes sind die hervorragend erhaltenen spätantiken Befestigungsbauten wie das Wienertor und der Hunger- oder Reckturm; das Schloss Traismauer wiederum geht in seiner Grundform ebenfalls auf einen spätantiken Befestigungsbau zurück und unterhalb der Pfarrkirche ist noch ein Teil des Kommandogebäudes (principia) zu besichtigen.
Unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Johannes-W. Neugebauer gelang es dem Archäologen Alois Gattringer, im Zuge von Rettungsgrabungen der Abteilung für Bodendenkmale des Bundesdenkmalamtes zwischen dem 16. und 18. September 1998 zwei Meilensteine in einer römischen Schottergrube zu entdecken.
Diese Steine, gefertigt aus einheimischem Konglomerat, konnten sicher geborgen werden. Ein 2,68 Meter hoher Meilenstein war laut Inschrift im Jahr 217/218 n. Chr. unter Kaiser Macrinus und seinem Sohn Diadumenianus errichtet worden. Ein weiterer, 1,9 Meter hoher Stein wurde um das Jahr 313 n. Chr. unter Kaiser Licinius gesetzt.
Mit diesen beeindruckenden Funden konnte nicht nur nachgewiesen werden, dass der Verlauf der heutigen Bundesstraße B43 in diesem Gebiet weitgehend der alten römischen Limesstraße nach Traismauer entspricht, sondern auch, dass durch die Distanzangaben – 16 römische Meilen (milia passuum) von Aelium Cetium (entspricht 24 Kilometern) – die Steine noch immer nahe ihrem ursprünglichen Aufstellungsort liegen.
Das Ortsarchiv Gemeinlebarn verfügt über viele Archivalien zum Funde der Meilensteine. Sie haben daher die Möglichkeit selbst noch einmal in die Entdeckung einzutauchen. Von der fotographisch begeleiteten Ausgrabung, bis zum Amateurfilm der den Abtransport von Meilenstein Nr. 1 dokumentiert.
Beide Meilensteine wurden auf Areal des Urzeitmuseums Nußdorf gebracht, wie sie weiter untersucht und auch erstmalig der Öffentlichkeit präsentiert wurden.
Transkription | Inschrift |
---|---|
Imp(erator) Caes(ar) [[[M]ar(cus) [Opelli]us]] | IMP CAES [[[ ]AR [ ]VS]] |
Severus [[Mac[ri]nu[s]]] Pius Felix | SEVERVS [[MAC[ ]NV[ ]]] PIVS FELIX |
Aug(ustus) p(ontifex) m(aximus) trib(unicia) pot(estate) {co(n)s(ul)} II p(ater) p(atriae) | AVG P M TRIB POT COS II P P |
co(n)s(ul) proco(n)s(ul) [[et M(arcus) [Opel]liu[s]]] Antoninus | COS PROCOS [[ET M [ ]LIV[ ]]] ANTONINVS |
[[D[iadumenia]n[us nobilissimus]]] | [[D[ ]N[ ]]] |
[[C[aes(ar) princ(eps) i]u[ventuti]s]] pro- | [[C[ ]V[ ]S]] PRO |
videntissimi Augusti fecerunt | VIDENTISSIMI AVGVSTI FECERVNT |
a Cet(io) m(ilia) p(assuum) XVI | A CET M P XVI |
Kaiser Opellius Severus Macrinus, der Fromme und Glückliche, Oberster Priester, zum 2. Mal Volkstribun, Vater des Vaterlands, Konsul und Prokonsul sowie Marcus Opellius Antoninus Diadumenianus, vornehmster Prinz und Führer der Jugend.
Durch die große Voraussicht der Kaiser wurde dieser Meilenstein gesetzt, von Aelium Cetium 16 Meilen entfernt.
Mit den 16.000 Doppelschritten, auch als "milia passuum" (MP) bezeichnet, sind 16 Meilen gemeint, also ungefähr 24 km; die Titulatur des Kaisers Macrinus ist zudem fehlerhaft formuliert.
Die Namen der Kaiser am Meilenstein sind beschädigt, sodass sie auf Anhieb nicht vollständig entziffert werden konnten: Diese Beschädigungen traten jedoch nicht erst in der jüngsten Vergangenheit auf, beispielsweise durch das Anpflügen des Steins, sondern bereits in der Antike. Da sowohl Macrinus als auch sein Sohn Diadumenianus am Ende ihrer politischen Laufbahn und ihres Lebens offiziell geächtet wurden, wurden sie Opfer der sogenannten "damnatio memoriae", der Verdammung ihres Andenkens. Es handelte sich also um "Gedächtnissanktionen", die ergriffen wurden, um bestimmte Erinnerungen oder Geschichtsdarstellungen zu unterdrücken oder zu modifizieren. Infolgedessen wurden im gesamten Imperium auf Senatsbeschluss nahezu alle Andenken an diese Personen – wie Statuen und Inschriften, die ihre Namen trugen – verflucht und gezielt entfernt. Paradoxerweise wurde dies oft „absichtlich offensichtlich“ gemacht, sodass den Menschen auch weiterhin bewusst war, wessen Andenken ausgelöscht wurde, indem Inschrifteninhalte, wie im vorliegenden Fall, beispielsweise nur teilweise eradiert wurden. Es ging wohl vorrangig darum, das Gedächtnis an die Verdammten nachhaltig zu schänden. IKm vorliegenden Fall lassen sich die vollen Namen durch die nicht vollständige Eradierung und übrigen am Stein erhaltenen Inhalte der Titutlaturen leicht rekonstruieren.
Kaiser Macrinus, zuvor der Prätorianerpräfekt der Leibgarde des Kaisers Caracallas, ließ seinen Vorgänger 217 n. Chr. ermorden, um so mit seinem Sohn Diadumenianus an die Macht zu kommen, nur um bereits ein Jahr später 218 n. Chr. selbst ermordet zu werden – Diadumenianus ereilte noch im selben Jahr das Schicksal seines Vaters.
Transkription | Inschrift |
---|---|
Imp(eratori) Caes(ari) | IMP CAES |
Fl(avio) Val(erio) Licinian(o) | FL VAL LICINIAN |
Licinio Pi(o) | LICINIO PI |
Fe(lici) Invicto | FE INVICTO |
Aug(usto) | AVG |
Dem frommen, glücklichen und unbesiegten Kaiser Flavius Valerius Licinianus Licinius.
Man beachte, dass der Meilenstein über keinerlei Distanzangaben verfügt und demnach hauptsächlich als Propagandainstrument gewertet werden kann, so ein Fehlen der Distanzangabe nicht auf den bescheidenen Erhaltungszustand zurückgeführt werden sollte.
Kaiser Licinius, ein spätantiker Mitkaiser (Tetrarch) Constantins I. und Adoptivsohn Diocletians, regierte von 308 bis 324 n. Chr, als er wegen angeblichen Hochverrats hingerichtet wurde.
Im Juli 1999 wurde eine originalgetreues Replikat des Meilenstein Nr. 1 an der Kreuzung Tullner Straße/Schulstraße/Ortsstraße eingesetzt, das von Bildhauer Mag. Thomas Kosma angefertigt wurde.
Am 17.09.1999 luden Bürgermeister Hans Haas und die Gemeindevertreter von Gemeinlebarn zu einer kleinen Feier anläßlich der Aufstellung Replikats von Meilenstein Nr. 1.
Die römischen Meilensteine von Gemeinlebarn
sind ein Projekt des Ortsarchivs Gemeinlebarn in Kooperation mit Dr. Dominik Hagmann. Am 22. Oktober 2023 wurde zum Auftakt in das Feuerwehrhaus Gemeinlebarn zu einem Vortrag geladen. Dieses Web-Projekt ist eine permanente Ergänzung zu diesem Vortrag und kann ggf. auch inhaltlich erweitert werden.
Archäologe mit Fokus auf den provinzialrömischen Bereich, insbesondere der Besiedlung des Hinterlands im Imperium Romanum. Im Jahr 2022 promovierte er mit Auszeichnung an der Universität Wien (Doctoral School for Cultural and Historical Studies) mit der Arbeit Roman Rural Landscapes in Noricum
.
Software-Entwickler beim Amt der NÖ Landesregierung und AppArtig. Daneben Studium der Philosophie an der Universität Wien und Betätigung als Citizen Scientist
(u.a. Dokumentationsprojekt Überland) und Archivar beim Ortsarchiv Gemeinlebarn.
Roman Rural Landscapein Nordostnoricum: Ergebnisse der landschaftsarchäologischen Untersuchungen zur ländlichen Besiedlung der römischen Kaiserzeit in Niederösterreich. In F. Pieler & W. Breibert (Eds.), Beiträge zum Tag der Niederösterreichischen Landesarchäologie 2022 (pp. 61–70). Wissenschaftliche Publikationen aus den Landessammlungen Niederösterreich Asparn/Zaya. doi.org/10.5281/zenodo.6751583
Donaulimes). In F. Pieler & E. Nowotny (Eds.), Beiträge zum Tag der Niederösterreichischen Landesarchäologie 2023 (pp. 61–70). Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, Abteilung Kunst und Kultur. doi.org/10.5281/zenodo.8042142
Sie bekommen hier einen Überblick über alle Änderungen, die im Laufe der Zeit auf dieser Seite gemacht wurden. Der Quellcode dieses Projekts ist öffentlich auf der Plattform Github einsehbar. Erweiterte (technische) Änderungen können so auch auf diese Weise nachvollzogen werden.
Traismaurer Schätzewurde ersetzt, sodass die Informationen auf der Website der Stadtgemeinde Traismauer wieder auffindbar sind.
Asturisist mittlerweile aufgrund eines Neufundes gesichert und wird nicht mehr mit dem Suffix
(?)versehen.
Fundort-Überschrift auf 1998 geändert.
Diese Veranstaltung und dazugehörige Online-Information sind ein Projekt des Ortsarchivs Gemeinlebarn.
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